Zürich/Fogera (ots) –

Die Erdschicht, die uns alle ernährt, ist dünn und verletzlich. Die fruchtbare Ackerkrume ist nur selten mächtiger als 30 Zentimeter. Wird sie übernutzt oder abgeschwemmt, sinken die Ernten. Besonders in Afrika ist das ein grosses Problem: Weil die Menschen aus Armut an Hängen die Bäume abholzten, haben Niederschläge zerstörerische Kraft und spülen den fruchtbaren Boden ab. Die Stiftung Menschen für Menschen sucht nach Auswegen.

Der Acker von Kleinbauer Gizaw Tsegaye im äthiopischen Bezirk Fogera erinnert an eine Geröllwüste. Er ist von faustgrossen Steinen übersät. Der Acker liegt auf abschüssigem Gelände. In der Regenzeit spülen die Wolkenbrüche feine Bodenpartikel ab, die Steine bleiben zurück.

Das ist ein Problem überall in Äthiopien. Um ihre Familien zu ernähren und um Brennstoff für die Kochfeuer zu erhalten, haben die Kleinbauern in den vergangenen Jahrzehnten die Wälder abgeholzt. Der Wald an Hängen und Hecken an Rainen können mit ihren Wurzeln die Kraft der Niederschläge bremsen. Aber ohne Bäume und Sträucher kommt es zu Bodenerosion. Die Ertragskraft des Agrarlands sinkt. Die Schweizer Bauern können mit Kunstdünger gegensteuern, wenn der Boden erschöpft ist. Den äthiopischen Kleinbauern fehlen dafür oft Geld und Zugang.

An steilen Lagen kommt es ohne Baumwurzeln auch leichter zu Erdrutschen. Gizaw Tsegayes Acker liegt am Rande einer steilen Schlucht. Vor einigen Jahren rutschte ein Teil seiner Existenzgrundlage ab. “Meine Ernten sind gering”, sagt der Kleinbauer. “Ich kann es mir auf keinen Fall leisten, weiter Land an die Erosion zu verlieren.”

Abgespülter Boden, sinkende Ertragskraft und kein Geld für Kunstdünger: Viele Bauernfamilien müssen deshalb als Armutsflüchtlinge in die Elendsquartiere der Städte abwandern. In ihrer Heimat finden sie keine Erwerbsalternativen: In Fogera gibt es kaum Handwerk, keine Industrie, wenig Handel und Dienstleistungen. Es gibt einige Lehrer und Staatsbedienstete. Die allermeisten Einwohner arbeiten in der kargen Landwirtschaft – deutlich mehr als 90 Prozent. Zum Vergleich: in der Schweiz sind drei Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig.

Zurück zu den Wurzeln

Menschen für Menschen versucht mit einheimischen Agrarexperten zu erreichen, dass die Familien in ihrer Heimat bleiben können. Die Projektmitarbeiter gehen von Hof zu Hof und beraten die Bauern individuell. Gizaw Tsegaye erhielt 2945 Silbereichen-Pflänzlinge. Das Wurzelwerk des in tropischen Breiten schnell wachsenden Baumes stabilisiert den Hang: “Ich hoffe, dass es nun zu keiner weiteren Rutschung kommt”, sagt der Bauer.

In diesem Jahr hat das Schweizer Hilfswerk in Fogera 388´474 Bäume gesetzt. Insgesamt sind damit in dem Bezirk dank der Schweizer Unterstützer 1,4 Millionen Bäume gepflanzt worden. In den kommenden zwei Jahren ist in der projekteigenen Baumschule das Aufziehen von weiteren 800´000 Setzlingen geplant. Die Bäume gehen direkt an die einzelnen Bauern oder sie werden gemeinschaftlich in Erosionsrinnen und an Hängen gepflanzt. Ein Teil wird auch um Schulen herum und anderen öffentlichen Institutionen gesetzt. Das 2023 bepflanzte Areal entspricht der Fläche von rund 100 Fussballfeldern.

Bäume allein reichen nicht, um die Existenz der Familien zu sichern. Die Felder sind winzig. Eine Familie in Fogera hat im Durchschnitt nur 0,3 bis 0,4 Hektar Land zur Verfügung. Das entspricht der Fläche einer Fussballplatz-Hälfte. Deshalb fördert Menschen für Menschen alternative Einkommensquellen wie Kleinviehzucht und Kleinhandel. Gizaw Tsegaye erhielt auf Basis von Mikrokrediten auch drei Schafe, um eine Zucht zu beginnen, und verbessertes Saatgut und Dünger. Statt 75 Kilogramm wie früher erntete er nun 200 Kilogramm Teff, das traditionelle Getreide Äthiopiens. Der Verkauf von Vieh ist für die Kleinbauern die Möglichkeit, an Geld zu kommen – um damit Grundnahrungsmittel, Kleidung und Schulbedarf zu kaufen. Die Familien sind so arm, dass sie gewöhnlich nur zwei Mal im Jahr ein wenig Fleisch essen, zu Ostern und zu Weihnachten.

“Baumpflanzungen schützen den Boden”, sagt Kelsang Kone, Geschäftsführer von Menschen für Menschen. “Es geht aber auch darum, den Boden zu schonen und ihn zu beleben.” In Schulungen lernen die Bauern, wie der Boden nicht auslaugt – etwa über Zwischenfrüchte wie Bohnen, die ihn mit Stickstoff anreichern – und wie sie aus landwirtschaftlichen Abfällen möglichst effizient Kompost herstellen können.

Herde statt offener Feuer

Daneben sorgt Menschen für Menschen dafür, dass 7000 Familien Bausätze für einfache Kochherde aus Zement-Modulen bekommen. Bislang kochen sie noch auf offenen Feuern. Diese brauchen deutlich mehr Brennmaterial und der Rauch schadet der Gesundheit von Frauen und Kindern.

Die Bäume filtern auch CO2 aus der Atmosphäre. “Äthiopien ist nur scheinbar weit weg: Verschwindet in Afrika der Wald, heizt das auch die Temperaturen in der Schweiz an”, gibt Kelsang Kone zu bedenken. “Unser Projekt wirkt deshalb lokal und global. Als Nebeneffekt hilft es dem Klima. Hauptsächlich aber können wir dank unserer Unterstützer die Lage der ärmsten Kleinbauernfamilien verbessern.”

Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.

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Michael Kesselring | m.kesselring@mfm.ch | Tel.: +41 (0)43 499 10 60

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