Zürich/Fogera (ots) –
Etwas Neues auszuprobieren ist für Bauern ein Risiko: Das Ergebnis sieht man erst nach vielen Monaten, bei der Ernte. Veränderung braucht Mut – gerade auch, wenn die Lebensverhältnisse immer prekärer werden und viele Familien hungern: So ist die Situation im ländlichen Äthiopien. Das Schweizer Hilfswerk Menschen für Menschen versucht zu helfen – mit jungen einheimischen Fachleuten als “Agenten des Wandels”.
Viele Kleinbauern im äthiopischen Bezirk Fogera ernten viel zu wenig. Ihre Familien haben nur einige Monate im Jahr genug zu essen. Die Kinder sind durch den Hunger anfällig für Krankheiten. Die rückständige Landwirtschaft ist nur eine Ursache für den Mangel: Aus Not haben die Menschen die Wälder abgeholzt. Der globale Klimawandel verstärkt die Niederschläge. Die Folge ist die Abschwemmung von Mutterboden. Hinzu kommt, dass die Felder durch Realteilung immer kleiner werden. Wenn die Alten sterben, teilen die Jungen das Erbe auf. Mit jeder Generation wird das Land pro Familie noch weniger. Inzwischen steht jeder Familie im Schnitt nur noch 0,3 bis 0,4 Hektar Land zur Verfügung. Das entspricht der Hälfte eines Fussballplatzes. Davon kann sich niemand ernähren – zumindest nicht bei der althergebrachten Wirtschaftsweise.
Deshalb hilft Menschen für Menschen. Die Familien erhalten vielerlei Anstösse, wie sie ihr Einkommen vergrössern. Dazu gehören materielle Hilfen wie Baumsetzlinge oder leistungsfähiges Saatgut, das sie auf Basis von Mikrokrediten erhalten. Aber noch wichtiger ist das Verbreiten von Wissen und neuen Methoden. Junge Landwirtschaftsberater, die in den Dörfern leben, gehen täglich von Bauernhof zu Bauernhof und machen Mut, die Innovationen einzuführen.
Einer der Berater ist Endashaw Alemu, 29. Sein erster Termin heute ist bei Asenakew Mekonen, 55, der den Gast mit herzlichem Handschlag begrüsst. “Endashaw hat uns neue Anbaumethoden gezeigt,” berichtet der Kleinbauer. Bislang pflanzte Asenakew den Teff, das traditionelle Getreide Äthiopiens, wie seine Vorfahren: Magere Ochsen kratzten mit einem einfachen Hakenpflug den Boden auf. Dann warf er das Getreide mit der Hand über das Feld aus. Grosse Teile der Saat vertrockneten oder wurden von Vögeln gefressen. Die Ernte blieb gering. “Aber jetzt ziehe ich Furchen im Boden, im Abstand von 20 Zentimetern”, erklärt Asenakew. “Ich fülle eine kleine Plastikflasche mit den Samen.” Teff heisst auch Zwerghirse: Die Samen sind winzig, messen kaum einen Millimeter. “Dann brenne ich mit einer heissen Nadel ein Loch in den Deckel”, berichtet der Bauer weiter. Wenn man jetzt mit der Flasche entlang der Furche geht, den Deckel nach unten, rieselt der Samen heraus – nicht zu viel, nicht zu wenig.
Es hilft auch, dass Asenakew verbessertes Saatgut und Mineraldünger von Menschen für Menschen bekam. “Die Familien können so ihre Ernte verdoppeln”, sagt Berater Endashaw. “Ich war zunächst skeptisch bei Endashaws Vorschlägen”, sagt Bauer Asenakew. “Aber er kam jeden Tag und schliesslich fasste ich Vertrauen.”
Mikrokredite statt Wucherzinsen
Er hat die neuen Ideen genau so wenig bereut wie Bauer Tegegne Kebede, 42. Dessen Haus ist für Endashaw heute die nächste Station. Der Bauer zeigt ihm seinen Kompost, den er vor drei Monaten angelegt hat, mit Baumblättern, Bohnenstroh und Rinderdung. Menschen für Menschen steuerte die fleissigen Helfer bei: Packungen mit feuchter Erde, darin Hunderte Regenwürmer. Tegegne kann den Kompost gut gebrauchen: Vor allem nutzt er ihn in den Pflanzlöchern für die Mango-Setzlinge, die er von Menschen für Menschen erhält.
“Am allerwichtigsten aber war für mich, dass ich Mais-Saatgut bekommen habe, auf Basis eines Kredits”, erklärt Tegegne. Diese Mikrokredite für Saaten zahlen die Bauern an eine Genossenschaft zurück, die mit den Rückzahlungen neue Kredite ausgibt. “Ohne diese Chance hätte ich privat Geld aufnehmen müssen.” Die Zinsen sind bei den lokalen Verleihern horrend und ein wesentlicher Grund, warum die Familien in der Armutsfalle stecken: “Nach der Ernte hätte ich die doppelte Summe zurückzahlen müssen!”
Weiter geht es für den Berater zum Bauernhof von Mulu Tadesse, 54. Auch er musste sich früher auf Wucherkredite einlassen, um in den Monaten vor der nächsten Ernte, wenn alle Vorräte aufgebraucht waren, Lebensmittel kaufen zu können. “Das ist vorbei, seit wir die Schafe haben”, sagt der Bauer: Menschen für Menschen gibt auf Mikrokreditbasis auch Kleinvieh ab. Endashaw gab Ratschläge, wie die Mutterschafe zu behandeln seien, damit sie den Lämmern genug Milch geben: “Es ist weit verbreitet, dass man die Schafe einfach laufen lässt, so verlieren sie viel Energie. Besser ist es, sie auf dem Hof zu halten und ihnen reichhaltiges Futter zu bringen.”
Bildung ist der Weg für Entwicklung
Vom Verkauf der Jungschafe könnten sie nicht nur Lebensmittel und Mineraldünger kaufen, sagt der Bauer, sondern auch Schulsachen für die drei Kinder. Für seine Frau sei eine andere Neuerung sehr wichtig: “Früher kochte ich auf offenem Feuer”, erzählt Wolela Agmas, 42. “Stundenlang tränten meine Augen, so mörderisch war der Rauch. Und die Flammen verbrannten meine Beine.” Endashaw überzeugte sie von den Vorteilen eines einfachen Herdes, der aus einer Handvoll Beton-Elementen zusammengesetzt wird. “Wir brauchen jetzt viel weniger Kuhdung und Holz als Brennmaterial”, sagt die Bäuerin. Der Dung kann jetzt auch für den Kompost verwendet werden. Es muss weniger Holz eingeschlagen und gesammelt werden, was traditionell die Arbeit der Mädchen ist: Jetzt haben sie mehr Zeit für ihre Schule.
Insgesamt leben acht Landwirtschaftsberater von Menschen für Menschen unter den Bauern von Fogera. Gemeinsam pflanzen sie auch rund 2,2 Millionen Bäume, um die natürlichen Ressourcen wiederherzustellen. Manche Familien bekommen mehr Kinder, als sie wollen und ernähren können. Teil der Wissensvermittlung durch die Berater ist deshalb Familienplanung.
Dass Bildung der Weg für Entwicklung ist, hat Endashaw selbst erfahren: “Ich weiss, wie sich Armut anfühlt.” Auch er stammt aus einer Kleinbauernfamilie. Seine älteren Brüder mussten früh in der Landwirtschaft helfen und die Schule aufgeben. Aber er durfte eine Ausbildung machen. Sein jüngeres Ich erkennt er in Hailemikael wieder, der Sohn von Bauer Asenakew Mekonen. Der Elfjährige ist der beste Schüler in seiner Klasse mit 54 Schülerinnen und Schülern. Der Bub hat grosse Träume. “Ich möchte einmal Premierminister von Äthiopien werden”, sagt Hailemikael und lächelt. “Dann entwickle ich das Land – und alle haben genug zum Leben.”
Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.
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