Nenad Mlinarevic hat nach langem Suchen seinen Stil gefunden. Keiner geht mit strikt regionalen Produkten raffinierter und harmonischer um als der ehrgeizige Küchenchef im Park Hotel Vitznau. Der GaultMillau Schweiz zeichnet ihn aus: Mit neu 18 Punkten. Und mit dem Titel «Koch des Jahres 2016».
Von Urs Heller, Chefredaktor GaultMillau Schweiz
Chef Nenad wurde in der Branche als Bluechip gehandelt, als Talent mit dem Zeug zum Star. Jetzt ist er einer. Wie viele grosse Köche hat er den Code zum Erfolg nicht über Nacht ge- knackt, sondern in jahrelanger, harter Arbeit. Sein Konzept im Luxushotel am Vierwaldstät- tersee: Kein Kaviar, kein Hummer. Eher Kohl und Kalbskopf. Anders gesagt: Regionale Küche ist Trumpf. Ins Menü schafft es nur, was in der näheren oder weiteren Umgebung wächst. Nenad Mlinarevics Revier ist nicht die Bretagne. Er sucht Kräuter am Fuss der Rigi. Hat einen sehr engen Kontakt mit hervorragenden Weggiser Gemüsebauern. Setzt auf Brüg- gli-Forellen vom Sattel SZ statt auf Loup de mer aus den Weltmeeren. Bewundernswert ist deshalb zweierlei: Chef Nenads Rolle als Foodscout, als Entdecker kleiner, noch unbekann- ter Produzenten. Und natürlich seine Rolle als Koch: Wie er die vermeintlich einfachen Pro- dukte verzaubert, wie er Kontraste und Harmonie zugleich sucht, wie daraus ein eigentlicher «Nenad Style» entsteht, ist bewundernswert. Die Gäste wissen es zu schätzen: Das Restau- rant «focus» ist deutlich besser besucht als in den ersten Monaten.
Die «Generation Caminada»
Auffallend im GaultMillau 2016: Die «Generation Caminada» setzt den Akzent. Andreas Caminada selbst ist in Hochform, eröffnet vor Weihnachten im Grand Resort Bad Ragaz seine erste «Filiale» (Restaurant «Igniv»). Nenad Mlinarevic ist einer seiner Lieblingsschüler. Und auch GaultMillaus «Entdeckung des Jahres in der Deutschschweiz» stammt aus dieser Ecke: Sven Wassmer vom «7132 Hotel» in Vals GR. Chef Sven arbeitete für Caminada und zuletzt als Vize bei Mlinarevic. Jetzt macht er sein eigenes Ding, und das ist dem GaultMillau eine unge- wöhnlich hohe Einstiegsnote wert: 17 Punkte! Auch Chef Sven streift durch die Wiesen und Wälder des Valsertals, mag sich aber nicht einschränken: Zu regionalen Produkten gesellen sich die besten der Welt, lebendfrischer Kingcrab etwa oder Wagyu Beef. Auch eine zweite Küchen- brigade startet mit der hohen Note 17: Das «Einstein Gourmet» in St. Gallen, das sich auf dem «Transfermarkt» mit zwei arrivierten Chefs eingedeckt hat (Sebastian Zier, Moses Ceylan).
Sechs Chefs «on the top»
Die Schweizer 19-Punkte-Chefs haben ihre Leistung gewohnt souverän bestätigt: Benoît Violier (Crissier VD), Bernard Ravet (Vufflens-le-Château VD), Philippe Chevrier (Satigny GE), Didier de Courten (Sierre VS), Andreas Caminada (Fürstenau GR) und Peter Knogl (Basel) führen die Pyramide an. Der Siebte im Bund, André Jaeger, hat sich mit einem grossen Finale in den Ruhestand verabschiedet; er ist GaultMillaus «Aussteiger des Jahres». Traurige Tage gab’s auch: Die früheren 19-Punkte-Chefs Roland Pierroz (Verbier) und Philippe Rochat (Crissier) sind dieses Jahr verstorben; sie waren beide leidenschaftliche Pioniere und fordernde Leistungsträger der Schweizer Kochszene.
Cerea, Roth, Ranza: Die Aufsteiger des Jahres
Die Aufsteiger des Jahres? In der Deutschschweiz geht der Titel an zwei fröhliche Fratelli: Enrico und Roberto Cerea, die beiden Dreisterne-Köche von «Da Vittorio» bei Bergamo, überwintern seit einigen Jahren im «Carlton» St. Moritz. Im Gegensatz zu vielen italieni- schen Stars verleugnen sie ihre Wurzeln nicht. Pasta und Pesce sind die Basis ihrer raffinier- ten, oft verblüffenden Menüs. Grosse italienische Küche, die dem Guide neu 18 Punkte wert ist. In der «Villa Principe Leopoldo» ob Lugano pflegt auch der Bergamaske Dario Ranza seine italienischen Wurzeln. Selbst wenn sich in der «Villa» Hochzeiten und andere Events jagen – die Küche im Vorzeigerestaurant ist erstklassig, mit Grandezza auch im Service. Da- rio Ranzas grenzenloser Einsatz und sein Können verdienen Respekt – und den 17. Punkt. Aufsteiger in der Romandie ist Michel Roth vom «President Wilson» in Genf. Ein Glücksfall für die Stadt: Eigentlich wollte Roth nur so lange am Lac Léman bleiben, bis der Umbau «sei- nes» legendären Hotel Ritz in Paris abgeschlossen ist. Roth, der auf Anhieb drei Hotelrestau- rants in den Guide hievte, änderte seine Pläne, bleibt dem «President Wilson» treu. Im Res- taurant «Bayview» kocht er neu für 18 Punkte. Note 18 – das gilt auch für einen zweiten grossen Chef in der Romandie: Edgard Bovier vom «Lausanne Palace» legt mit seiner feder- leichten Mittelmeerküche einen Punkt zu.
Die Entdeckungen des Jahres? Von Sven Wassmer im «7132 Hotel» in Vals und seinen 17 Punkten war schon die Rede. In der Romandie entdeckte der Guide Alain Montigny: Der Franzose (ein MOF, «un des meilleurs ouvriers de France») kocht im «Chalet RoyAlp Hôtel & Spa» in Villars-sur-Ollon VD für 15 Punkte.
Die 100 besten Schweizer Winzer
Von der Küche in den Keller: Eine GaultMillau-Jury bewertete die Arbeit der besten Schwei- zer Winzer und stellt die «Top 100» vor. Sechs Winzer werden als «Ikonen des Schweizer Weins» besonders geehrt: Daniel und Martha Gantenbein, Marie-Thérèse Chappaz, Feliciano Gialdi, Jacques Tatasciore, Jean-Pierre Pellegrin und Louis-Philippe Bovard. Die beste Schweizer Weinkarte legt Romaine Stoffel im «Kreuz» Emmen LU auf. Auch der «Sommelier des Jahres» ist eine Frau: Yvonne Stöckli wacht über den imposanten Keller des «Alpen- blick» in Wilderswil. Ihr Mann Richard kocht seit Jahren für sichere 16 Punkte. Auf dem Wa- gen liegen 40 (!) verschiedene Schweizer Käse.
Wohin ziehen die Genussraucher? Am liebsten in ein Restaurant mit erstklassiger Küche und einer eleganten «Smoker’s Lounge». Das «Grand Resort Bad Ragaz» hat beides zu bieten: Eine Reihe von Restaurants mit GaultMillau-Punkten und einen grosszügigen «Salon Davidoff» im Zentrum des Resorts. Executive Chef Renato Wüst ist unser «CigarMan of the Year».
«Dolder Grand». Und das «Budersand» auf Sylt
Das «Dolder Grand» ob Zürich wurde als GaultMillaus «Hotel des Jahres» geehrt. Die impo- nierende Architektur, die jugendlich-professionelle Klasse der Mitarbeiter, die grossartige Kunstsammlung im Haus, vor allem aber die herausragende Arbeit von Gourmet-Chef Heiko Nieder (18 Punkte) haben die Jury überzeugt. Überzeugend ist auch der Leistungsausweis von GaultMillaus «Star im Ausland». Der Luzerner Rolf E. Brönnimann hat in seinen langen «Dienstjahren» viele Hotels geführt und anspruchsvolle Projekte entwickelt. Das «Buder- sand», die Nummer 1 auf Sylt, ist gewissermassen sein Meisterwerk. Mit Spa, Bibliothek, eigenem Golfplatz und erstklassiger (Gemüse-)Küche.
1000 Testbesuche für 845 starke Adressen
Der GaultMillau empfiehlt seinen Lesern und Usern dieses Jahr 845 Adressen. 73 Restau- rants sind neu dazugekommen. 90 Chefs haben zugelegt, 40 wurden zurückgestuft. Über 1000 Restaurantbesuche waren nötig, um für den Guide und die stark nachgefragte Gault- Millau-App (erscheint mit letzten Updates im Dezember) die richtige Auswahl zu treffen.